Juni 2020: "Der Prächtige" von Ingeborg Walter

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Juni 2020: "Der Prächtige" von Ingeborg Walter

1Alexander.Winnefeld
Mag 16, 2020, 4:50 am

Unsere Juni-Lektüre steht fest. Dieses Mal wagen wir uns an eine Biographie des Renaissance-Fürsten Lorenzo de Medici und lesen Der Prächtige von Ingeborg Walter.

Klappentext:
"Lorenzo de’ Medici (1449 – 1492) ist wohl das berühmteste Familienmitglied der Medici in Florenz – als „der Prächtige“ ist er in die Geschichte eingegangen. Er war dazu bestimmt, die Machtstellung der Bankiersfamilie in der Stadtrepublik zu bewahren und zu stärken. Glänzende Begabung, grenzenloser Ehrgeiz und zupackendes Wesen schienen ihm diese Aufgabe leicht zu machen. Aber die nie gänzlich erstickte Opposition gegen den Vorrang der Medici mündete in eine blutige Verschwörung, die ihn fast das Leben gekostet hätte und Florenz in einen langen Krieg stürzte. Trotz aller Versuche, seine Stellung auch konstitutionell abzusichern, blieb diese bis zuletzt gefährdet und bestritten. Zwei Jahre nach seinem Tod wurden die Medici aus Florenz vertrieben. In enger Anlehnung an die historischen Quellen und auf der Basis der neuesten Forschungen entwirft Ingeborg Walter ein Bild jener Zeit, in dem über die Person Lorenzo de’ Medicis hinaus die Lebensformen und die Mentalität der Renaissance wiederaufleben."

Dieses Mal gibt es auch ein passendes Begleitspiel zum Buch, nämlich "Lorenzo der Prächtige" von Flaminia Brasini, Virginio Gigli und Simone Luciani. Ich bin gespannt, welche Bezüge zum historischen Lorenzo und seiner Zeit wir beim Spielen ziehen können. Ich habe das Spiel als eher abstrakt in Erinnerung. Freue mich trotzdem sehr darauf, meine Erinnerung bald wieder aufzufrischen, da ich das Autorentrio sehr schätze. Ich mag vor allem Grand Austria Hotel und Marco Polo sehr, und habe auch Lorenzo positiv in Erinnerung.

Start der Diskussion ist für 1.6. geplant, das sollte uns allen genug Zeit geben, das Buch zu besorgen und durchzuarbeiten. Viel Spaß beim Lesen und Spielen :)

2Alexander.Winnefeld
Mag 20, 2020, 6:14 pm

Um die Diskussion schon mal hierher zu verlegen: ich hab mein Buch mittlerweile. Das Spiel ist allerdings noch unterwegs :)

3Florik
Mag 24, 2020, 6:50 am

Ich hab inzwischen beides bekommen und das Spiel einmal gespielt. War gut, schön einfache Regeln.

Es hätte mir allerdings noch besser gefallen, wenn es Sigismundo Malatesta heißen würde. Der ist im Brettspielbereich noch unverbrauchter. 🤔

4Florik
Giu 5, 2020, 7:40 am

Hier kommt eine erste Bemerkung zu Buch und Spiel, die zu diskutieren man nicht mit dem Buch durch sein muss: Beiden fehlt etwas, was ich dringend erwartet hatte: eine Karte der Toskana!

(Und einen Stadtplan von Florenz habe ich im Buch auch vermisst.)

Ging es euch/geht es euch auch so?

5Alexander.Winnefeld
Giu 6, 2020, 5:54 am

Ja, Karte und Stadtplan wären sicher nützlich gewesen. Das hat mich früher vor allem bei Aufsätzen zu geistlichen Prozessionen genervt - da wurden oft endlose Beschreibungen der verschiedenen Stationen aneinandergereiht, aber eine Karte für den flotten Überblick gab es selten ;)

Mir ist außerdem mit dem Abstand, den ich da mittlerweile gewonnen habe, aufgefallen, wie seltsam solche historischen Biographien eigentlich sind, wenn sie von Experten (Kunsthistoriker*innen, Literaturwissenschaftler*innen etc.) geschrieben wurden. Man fragt sich manchmal für wen die Bücher eigentlich geschrieben sind: einerseits soll ja immer der ominöse "interessierte Laie" angesprochen werden, und Beck ist ja durchaus ein Verlag mit großer Reichweite. In Walters Lorenzo-Buch ist Genre-typisch eine Menge "Name-Dropping" drin, mit dem niemand etwas anfangen kann, der sich erstmalig mit Humanismus und Renaissance in Italien befasst. Irgendwie dienen solche Bücher auch immer ein wenig der Selbstvergewisserung der Zunft.

6Florik
Giu 6, 2020, 11:01 am

Hm, Namedropping? Ist mir nicht aufgefallen. Die meisten Personen werden doch kurz vorgestellt, z.B. Francesco (?) Sforza, Herzog von Mailand. Macchiavelli und Michelangelo kennt ja doch jeder.

Aber wahrscheinlich denkst du an andere Historiker. Ich kann mich nur an Ranke erinnern. Auch kein unbekannter Name; ich hatte als Nichthistoriker allerdings nicht gewusst, dass er zur Renaissance was geschrieben hat.

Die verwendete Literatur wird ja erst im Anhang gelistet. Finde ich eine gute Lösung. Also für mich war das Buch grundsätzlich gut lesbar und nicht zu fachsprachlich durchsetzt.

Ob die Synthese aus Biographie und Beschreibung der Ära gut gelingt, also die Gliederung in Kapitel, die grob der Chronologie folgen und zugleich essayartig ein geschlossenes Thema besprechen, wäre für mich eine separate Frage.

7Alexander.Winnefeld
Giu 7, 2020, 8:36 am

Den Eindruck des Namedroppings hatte ich in erster Linie bei den verschiedenen humanistischen Gelehrten, die im Kapitel zur Erziehung "angeteasert" werden (u.a. Johannes Argyropulos). Du hast schon Recht, ganz im luftleeren Raum stehen die Namen nicht, ein Absatz oder zwei an Informationen zur Person werden hinterhergeschoben.

Ich frage mich da, ob es nicht nützlicher wäre, stattdessen ein paar Worte im Allgemeinen über das Bildungssystem der Zeit zu verlieren. Dass Lorenzo etwa ("vielleicht") bei diesem Johannes Argyropulos Aristoteles und Plato auf Latein gehört hat, sagt mir gar nichts darüber, warum jetzt insbesondere Argyropolus als Lehrer erwähnenswert ist - insbesondere Aristoteles ist ja zu dieser Zeit bereits seit langem Teil des Bildungskanons. Es kam mir ein bisschen so vor, als wenn hier ein Name, der in der Lorenzo-Forschung von Bedeutung ist, zumindest kurz erwähnt werden sollte - in erster Linie vielleicht für die Fachleute, die dann gedanklich nicken und ihr Häkchen setzen.

Gab noch ein paar solcher Stellen, aber das ist die, die mir gerade noch einfällt.

Davon abgesehen fand ich auch, dass sich das Buch gut lesen lies bzw. lässt - ich habe immer noch zwei Kapitel vor mir, aber ich erwarte keine überraschenden Spoiler, und traue mich daher schon mal in die Diskussion einzusteigen ;).

8Florik
Modificato: Giu 9, 2020, 11:46 am

Ah, gut, mit Argyropoulos hast du recht. Kannte den Namen nicht, und das "wahrscheinlich" habe ich überlesen.

Um noch mal auf die fehlenden Karten zurückzukommen. Für mein Gefühl würde der Leser sehr davon profitieren. Reisen nach Mailand, Neapel, Rom, Kämpfe um kleinere Städte, die Geographie ist wichtig in Lorenzos Leben.

Aber eben nicht im Spiel. Die spielerischen Landschaften sind abstrakt (grüne Karten). Für dieses Spiel ist es völlig egal, wie weit es von Florenz nach Empoli ist. Die Reisen, die territorialen Streitigkeiten erscheinen im Buch als wesentliches Element, aber dieses Spiel lässt sie beiseite. (Anders beispielsweise Il Vecchio von Rüdiger Dorn, kennt ihr das?)

Zwar ist der Spielplan eine Art Stadtplan von Florenz, das spielt aber keine Rolle.

Welche Elemente seht ihr in Buch UND Spiel vertreten? Mir würde da vor allem die Exkommunikation einfallen.

9Wicki72
Giu 11, 2020, 7:28 am

Oh, da hab ich wohl tatsächlich as Thema übersehen, aber mein Tsblet hat mir nie was ungelesenes angezeigt...
Heute fehlt leider die Zeit, aber spätestens Samstag werde ich mich dann such mal zu eurem bisher geschriebenen auslassen

10Wicki72
Giu 12, 2020, 5:00 pm

Hallo,

so, ich fange einfach mal von oben nach unten an und antworte bei einem Glas itakienischem Wein auf dem Balkon sitzend auf eure Anmerkungen.

1. Karte der Toskana und Stadplan wären tatsächlich schön gewesen, gerade um mal die Entfernungen zu den Landsitzen, Bädern und so vor Augen zu haben. Und auch die verschiedenen Reisen abschätzen zu können, die damals auch noch um einiges beschwerlicher waren. Und eine Art politische Karte, in der die jeweils verbündeten farblich eingezeichnet gewesen wären, wäre für mich auch interessant gewesen.

2. Namedropping: Hmmm, also ich muss gestehen, dass mir das Lesen phasenweise echt schwer gefallen ist. Nicht, weil ich jetzt dachte, die Autorin möchte da so viel wie möglich an „Prominenz“ unterbringen, sondern ob der Vielfalt an Namen, die im Buch aufgetaucht sind und der Namensähnlichkeiten. Das hat es mir manchmal echt schwer gemacht beim Lesen, z.B. zu verstehen, bei welchem Giovanni aus welcher Generation ich gerade bin. Dazu noch die ganzen Damen...
Da gab es schon Biografien, bei denen ich mich leichter getan habe. Und ich muss sagen, dass Lorenzo im Buch. für mich v.a. politisch eine sehr blasse Gestalt blieb und ich war froh, dass am Ende die Auflösung kam, warum er den Beinamen der Prächtige erhalten hat.

3. Die Frage, ob die Koppelung. von Ära und Person gut gelingt, finde ich eine spannende, da können wir uns gerne noch drüber austauschen. Das fand ich als Laie auf dem Gebier nicht so wirklich gelungen und führt bei mir zu einer eher negativen Gesamtbeurteilung des Buches.

4. Bei Elementen, die sowohl im Buch als auch im Spiel vertreten sind, fällt mir auch als erstes die Vatikanleiste und die Exkommunikation ein, daneben aber auch die Militärleiste. Und das Grundprinzip des Spiels, dass Familienmitglieder eingesetzt werden müssen, um zu bestehen sozusagen.
Schön thematisch am Spiel finde ich noch die Gebieteaktionen, die hier mit der Militärstärke gekoppelt sind. Da würde ich dir widersprechen Florian, das hat für mich schon was von territorialen Streitigkeiten - ich kann die Gebiete nur mit der notwendigen Militärstärke erobern.
Il Vecchio kenne ich leider nicht und auch nicht das Kniziaspiel, falls es demnächst im Vereinsheim mal wieder eine Ausleihe gibt, hole ich mir da mal was zum Vergleich.

11Alexander.Winnefeld
Giu 14, 2020, 12:26 pm

Entschuldigt, dass ich ein bisschen abgetaucht war. Erste Woche komplett zurück im Büro statt Home Office, das war überraschend anstrengend ;)

Zur Diskussion (ich hangele mich mal an Sandras Punkten entlang):

2. Ja, du hast Recht, das waren viele und oft ähnliche Namen - bei manchen Randfiguren habe ich auch einfach abgeschaltet. Bei den verschiedenen Angehörigen der Familien Acciaiuoli oder Strozzi konnte ich zeitweise einfach nicht mehr folgen. Ist aber glaube ich auch nicht kriegsentscheidend für das Verständnis des Buches gewesen :)

3. Die Synthese fand ich eigentlich ganz gelungen. Biographien zu vormodernen Persönlichkeiten sind ja m.E. oft eine schwierige Sache - sie brauchen viel Einordnung, und trotzdem bleiben die Protagonisten oft blass, weil entweder schlicht die klassischen Selbstzeugnisse fehlen, die wir aus der Moderne gewohnt sind, oder uns trotz Vorhandensein solcher Dokumente das Gesellschaftssystem, in dem die Personen agieren, fremd bleibt. Ihr Ringen um Einfluss und Ansehen ist für uns ähnlich abstrakt wie das Konzept von "Siegpunkten". Vielleicht lassen sich gerade deshalb Renaissance und Eurogame so gut verbinden?

4. Zu Elementen in Buch und Spiel: Ich finde auch, dass Worker Placement eigentlich thematisch ganz gut passt. Die Familienangehörigen bestmöglich nutzen, um den Ruhm der ganzen Familie zu mehren, das haben wir in Spiel und Buch.
Allerdings fehlt im Spiel gerade das sonst typische Worker Placement Element, die eigene Familie erweitern und versorgen zu müssen. Wir haben ja im Buch gelernt, dass zahlreiche Familienangehörige ein Maß für die Macht einer Familie waren, gleichzeitig galt es, weitere Familienangehörige auch standesgemäß versorgen und verheiraten zu können. Das fehlt im Spiel, auch wenn man mit verschiedenen Familienmitgliedern agiert. Die drohende Exkommunikation ist wie ihr schon erwähnt habt, sonst noch ein thematisch gut passender Punkt.

Mir ist ansonsten noch aufgefallen, dass die Renaissance Material für eine Menge Spiele hergeben würde, die so noch nicht gemacht wurden, denn an sich ist die Zeit voller Regelsysteme und spielerischer Ausgestaltungen des Gesellschaftssystems. Themen die ich gerne mal verspielt sehen würde:

- Irgendwas um die Logik von Gabe und Gegengabe. Geschenke, Einladungen etc. sind bilden in Lorenzos Zeit ja ein ziemlich komplexes Geflecht von Gunst und Verpflichtung. Siehe die verschiedenen Geschenke von König Ferrante von Neapel (teilweise werden ja auch die erwarteten Gegenleistungen erwähnt), oder die Einladungen zu Lorenzos Hochzeit, die gleichzeitig Ehre und teure Verpflichtung waren.
- Die Wahlsysteme in italienischen Städten der Renaissance. Ich stelle mir ein Spiel vor, in dem es darum geht, das Wahlverfahren so zu modifizieren, dass ein möglichst günstiges Ergebnis dabei herauskommt (temporäre Allianzen und Backstabbing inklusive). Man muss bestehende Traditionen wahren, kann die bestehenden Regeln aber aushebeln, indem man die Kreise der aktiv wie passiv Wahlberechtigten manipuliert, zusätzliche Wahlmännergremien zwischen verschiedene Schritte dazwischenschaltet, usw. Was meint ihr dazu? :)

12Wicki72
Giu 21, 2020, 2:50 pm

Hallo,

irgendwie spinnt meine Anzeige hier, deine Nachricht Alexander wurde mir wieder viel später angezeigt. Ich habe noch nicht raus gefunden, an was das liegt. Technik...

Zur Synthese: für mich ist eigentlich sowohl Lorenzo als auch die Renaissance irgendwie blass geblieben. Zu viel harte Fakten, zu wenig Beschreibungen für meinen Geschmack. Da hat mir der Briefwechsel von Kepler und Galilei, der Hofmathematiker ja auch bei den Medici war, ein intensiveres Bild der Zeit vermittelt.
Ich weiß auch nicht, ob uns das Ringen nach Ansehen und Einfluss heute fremd ist, die Form mag heute eine andere sein, aber die Ziele sind noch die gleichen. Schau dir unseren Jung-CDU-Politiker an und den Wahlmodus in Amerika, wo es auch um Geld und Einfluss geht. Oder im Kleinen, wie wichtig es manchen Leuten ist, wie viele Follower sie in den sozialen Medien haben.
Ketzersich gefragt: könnte es nicht auch so sein, dass Renaissance und Euro-Spiele sich so gut verbinden lassen, weil es da Ähnlichkeiten gibt?

Ich gebe Dir recht, Alexander, dass das Element der Versorgung der Familie gut thematisch passen würde, aber ich bin ehrlich gesagt auch ganz froh, mal wieder ein Spiel zu haben, bei dem ich nicht schauen muss, ob ich genügend Schweine oder Fische habe (ich erinnere mich mit Schrecken an eine Partie Le Havre im letzten Jahr).

Es wäre interessant zu wissen, inwieweit die Autoren des Spiels tatsächlich beim Entwickeln die Renaissance im Blick hatten oder ob das Thema nur drüber gestülpt wurde. Sind ja immerhin Italiener...

Deine Ideen für weitere Renaissance-Spiele sind klasse. Letzeres könnte ich mir spontan als semi-kooperativ vorstellen :-)
Wir sollten den Kreis hier um ein weiteres Element erweitern - Spiel zum Thema erfinden :-)

Kennt ihr Maestro Leonardo? Muss ich mal wieder aus dem Schrank holen, ist ja auch ein Renaissancespiel, wenn auch mehr oder weniger personenbezogen und zumindest wenig politisch.
Welche Renaissance-Spiele kennt ihr noch?

13Florik
Modificato: Giu 22, 2020, 4:33 am

Hallo beisammen, ja, manchmal verliert man den Faden und andere Dinge werden wichtig oder faszinieren einfach mehr, rauben jedenfalls Zeit ... und je kleiner die Gruppe, desto mehr haut das rein.

Ich hab jetzt schon ein paar Tage Absatz für Absatz gesammelt, hier das hoffentlich nicht zu bruckstückhafte, aber garantiert zu lange Ganze:

Alexander.Winnefeld: ich würde das Spiel mit Schenken und Gegenschenken gerne mitspielen ... Zentrale Abwägung, soll ich mich sozial blamieren, aber nicht ganz so viel Kohle verlieren? Reizvoll. Es gibt ja durchaus die Mechanik "Einer teilt, der andere wählt", etwa San Marco, Aber bitte mit Sahne etc.

Aber auch da gilt, das ist natürlich kein reines Renaissance-Thema. Wäre genauso einkleidbar mit Wikinger- oder Stammeshäuptlingen oder "orientalischen" Herrschern, die sich gegenseitig zu übertrumpfen suchen.

Was mich zu einer weiteren These bringt: Die Themen der meisten Renaissance-Spiele lassen sich leicht austauschen. Sie sind überhaupt nicht renaissancespezifisch.

Medici von Knizia zum Beispiel. Waren sammeln für Geld, das zugleich Siegpunkte ist. Noch ein ganz urtümlich knallhartes Spiel in dieser Hinsicht. Heutzutage muss man ja Geld meistens im Verhältnis 5:1 gegen Siegpunkte tauschen, und die Siegpunkte heißen Prestige. Jedenfalls, Medici könnte auch Wall Street oder Frankfurter Börse heißen. Es ist, wie so viele Spiele, ein Spiel mit kapitalistischen Mechaniken: Waren tauschen, Waren transportieren, Waren produzieren und verkaufen. Das sind leicht mit Spielmechaniken abbildbare Prozesse. Die Renaissance ist einen frühkapitalistische Ära ("Fugger, Welser, Medici"), deswegen lassen sich solche Spiele leicht in der Renaissance verorten.

Oder nehmen wir Condottiere, ein für mich durchaus thematisch überzeugendes kleines Kartenspiel über Territorialstreitigkeiten in der Renaissance. Kann man genauso Völkerwanderung draus machen.

Ich will damit nichts schmälern, und ich akzeptiere dein Argument, Wicki72, dass man in Lorenzo d.P. Militärstärke braucht, um Gebiete zu erobern. Das ist ein schönes Beispiel, wie eine Redaktion ein an sich abstraktes Spiel thematisch einkleiden kann. Thema und Mechanik ergänzen sich, erleichtert das Spielen, auch das Memorisieren der Regeln und hat einen Feelgood-Effekt ("find ich stimmig"). Aber es bleibt doch Fassade. Im Buch von Frau Walter (und in Condottiere) wechseln die kleinen Städte immer wieder den Besitzer. Das haben wir im Lorenzo-Spiel nicht.

Eins noch, das wohl berühmteste Renaissance-Spiel und auch m.M.n. beste Spiel, das in der Renaissance angesiedelt ist: Die Fürsten von Florenz. Da hat sich der Autor oder Redakteur richtig, richtig Mühe mit der thematischen Einkleidung gegeben. Da finde ich Elemente aus dem Walter-Buch wieder, die kein anderes Spiel hat, Landschaftsplanung und Städtebau z.B., die gleich in Kapitel 1 erwähnten Palazzi, das Anwerben von Künstlern, indem man Attraktionen für sie schafft (Priviliegien wie Religionsfreiheit, die für sie wichtigen Gebäude).

Und doch. Fürsten von Florenz ist ein Versteigerungsspiel mit zwei Anhängseln, erstens den diversen Karten, von denen die Künstler die wichtigste Sorte sind, und zweitens dem Bautableau. Beim Bauen wird gequetscht, das sieht am Ende mäßig thematisch aus, und das Künstlersammeln könnte am Ende auch ein Warensammeln sein, denn: Die Mechaniken sind auch hier rein kapitalistischer Warenverkehr, Umtausch und Veredelungsprozesse, Kauf und Verkauf. Wäre kein Problem, das zu einem Weltraumhandelsspiel umzubauen, wo jeder seinen Raumhafen konstruiert, um siegpunktträchtige Fernhändler anzulocken.

Das hat der Verlag aber nicht gemacht, er hat Künstler anwerben zum Thema eines völlig unkünstlerischen Spiels (im Sinn von: kein Kreativelement) gemacht. Warum?

Da, glaube ich, stehen wir zugleich vor der Frage, warum es so wahnsinnig viele Renaissancespiele gibt, obwohl etwa Warenwirtschaft oder Territorialstreitigkeiten ja auch in anderen Epochen reichlich präsent sind. Es ist eine schillernde Epoche, oder wird als eine solche wahrgenommen, eine, die sich ins Gedächtnis einprägt, mit der die Leute (auch völlige historische Laien) etwas verbinden können:

Erstens aufgrund der schillernden Personen, die wir im Lorenzospiel auf den Karten haben, Cosimo und Lorenzo, Künstler wie Michelangeo, Ariosto, Cellini, auch ein Söldnerführer wie Colleoni und natürlich den religiösen Eiferer Savonarola. (Ich persönlich finde den hundertjährigen Krieg viel interessanter als die Renaissance, aber außer Jeanne d'Arc hat er keine so einprägsame Figur hinterlassen.)

Zweitens schillernd aufgrund des beträchtlichen künstlerischen und auch wissenschaftlichen Fortschritts, vor allem aber des gesellschaftlichen Fortschritts (die Privilegien in FvF).

Grade das Schillernde der Renaissance hat Ingeborg Walter in ihrem Buch eher unterdrückt, glaube ich. Aber dazu habe ich mir noch kaum Gedanken gemacht, und der Post ist eh schon viel zu lang.

14Alexander.Winnefeld
Giu 26, 2020, 5:02 pm

Maestro Leonardo kenne ich nicht, ist aber ja tatsächlich vom gleichen Autorenkreis (u.a. Flaminia Brasini und Virginio Gigli). Irgendein Interesse an der Renaissance muss also bei den Machern vorhanden sein, wenn sie schon mehrfach darauf zurückkommen. Muss ich mir mal genauer anschauen - und die Fürsten von Florenz ohnehin.

Ich hab mal meine Sammlung durchforstet und festgestellt, dass ich nur zwei weitere Spiele mit Renaissance-Thema besitze. Hätte gedacht, das wären mehr - gefühlte Wahrheiten und so! Bei beiden ist das Thema mehr (Splendor) oder weniger (Die Paläste von Carrara) nichtexistent. In dieser Reihe finde ich Lorenzo schon am Thematischsten.

Florian, du hast natürlich Recht, die Ökonomie des Schenkens ist kein reines Renaissance-Thema. Ich muss demnächst noch mal Die Gabe von Marcel Mauss hervorholen. Habe nur noch Bruchstücke des Buches in Erinnerung, und außerdem ist es bestimmt noch mal eine interessante Lektüre mit der Fragen, wie man das Thema "verspielen" könnte im Hinterkopf ;)

Ich würde dir zustimmen, dass das Thema bei Lorenzo wie bei vielen anderen Eurogames nur ein äußerer Anstrich, eine Fassade ist. Die kann durchaus gut passen und dann den Einstieg in die Spielmechaniken erleichtern. Aber die Spiele sind eben doch zuerst und vor allem von der Mechanik her gedacht. Es gibt ja durchaus "vom Thema her gedachte" Spiele, eins über die Renaissance mag mir so auf Anhieb gerade nicht einfallen.

Um der Renaissancespiel-Liste noch einen Titel hinzuzufügen: Kennt ihr "De vulgari eloquentia"? Das fand ich thematisch immer ganz ansprechend, irgendwie hab ich mich aber doch nie näher damit befasst, geschweige denn es gespielt. Von daher weiß ich nicht, ob auch hier das Thema nur "Window Dressing" ist, oder ob sich tatsächlich jemand gefragt hat, wie man die Entwicklung der italienischen Literatursprache spielerisch verarbeiten kann.

Auch deinem Urteil zum Gegensatz zwischen schillernder Renaissance und Walters Buch stimme ich zu. Der Stil ist doch eher trocken-spröde, dabei haben wir hier doch Material für eine ganze Serie im Game of Thrones Stil (da gab es doch sogar mal was, oder?): Mord und Intrigen, Aufstieg und Fall einer Dynastie, das Ganze eingebettet in eine Epoche des (künstlerischen, literarischen, politischen) Aufbruchs.

15Florik
Giu 27, 2020, 4:36 am

Nein, De Vulgari Eloquentia habe ich damals verpasst. Würde ich liebend gerne mal spielen. In meiner Umgebung hat es niemand. Das ist meistens so, die für mich besonders interessanten Spiele muss ich aufgrund von Online-Infos kaufen oder werde sie nie spielen. Story of my life. Jedenfalls habe ich mich damals dagegen entschieden, trotz des tollen Themas, aus Angst, es könnte aufgesetzt sein. Wie meistens. Und auch, weil von Regellücken zu lesen war.

Abgesehen davon: Ist das nicht eher mittelalterlich? Ich gehe da allerdings allein nach der Schrift De Vulgari Eloquentia von Dante Alighieri. Kann sein, dass das Spiel sich bis in die Renaissance hinein erstreckt.

Stimmt, Splendor und Carrara sind beides schöne Spiele, aber das Renaissance-Thema ist mir nicht mal aufgefallen. Dagegen finde ich in Lorenzo d.Pr. wie gesagt die Exkommunikation recht zentral. Ein starkes thematisches Element, das ist doch für ein Eurogame gar nicht so schlecht.

Um noch mal zu Walter zurückzukommen, ich bin noch unentschlossen, ob ich die unaufgeregte Art ihres Buchs nicht vielleicht sogar als Stärke sehen will. Aber das von dir skizzierte Intrigen-in-Florenz-Epos würd ich sicher auch verschlingen wollen. Die Abwechslung macht's ;)

16Alexander.Winnefeld
Lug 1, 2020, 3:45 pm

Ich habe Dante gedanklich immer bereits in die Renaissance gepackt, gemeinsam mit Bocaccio und Petrarca. Ich muss aber auch gestehen, dass ich mich mit ihm nie näher beschäftigt habe. im Lateinstudium hatte ich von den dreien nur mit Petrarca Kontakt (die Invectives haben wir zumindest auszugsweise im Seminar gelesen).

Ich würde Walter die unaufgeregte Art auch gar nicht zum Vorwurf machen - die hat sie ja zumindest mit der Umsetzung der Renaissance im Lorenzo-Spiel gemein, das ja auch eher trocken ist. Ich mag es trotzdem ganz gerne, auch wenn ich beim erneuten Spielen festgestellt habe, dass ich das mechanische Gerüst ein wenig einschränkend finde. Vom gleichen Autoren-Kollektiv gefallen mir Grand Austria Hotel und Marco Polo deutlich besser, dann folgt je nach Tagesform für mich Lorenzo oder Coimbra.

17Florik
Lug 4, 2020, 4:29 am

An Grand Austria Hotel habe ich eine Horror-Erinnerung. Meine einzige Partie war zu Viert. Kann unfair sein, aber ich habs nie wieder gespielt.

Bei mir ist es genau umgekehrt, Alexander: viel Dante gelesen, allerdings nur Commedia und Vita Nuova, von Petrarca kenne ich lediglich paar Sonette.

18Wicki72
Lug 5, 2020, 3:01 pm

Sorry, ich habe euch nicht vergessen, aber vor dem Urlaub ist immer stressig und dazu noch die Rollenspiel-Vorbereitung... melde mich spätestens Mittwoch ausführlicher...

Und Florian vorweg: Grand Austria Hotel ist definitiv zu zweit am besten, zu dritt geht es noch, zu viert würde ich es auch nicht spielen wollen.

19Wicki72
Lug 15, 2020, 2:36 pm

Zum Glück hatte ich ja nicht gesagt, an welchem Mittwoch ich mich melde 🙈

Grüße vom Bodensee, heute ist Faulenzertag, da kann man neben lesen und spielen auch mal wieder über beides schreiben.

So, mich eben ma wieder in die Thematik eingelesen.
Zu den Spielen: Splendor und die Paläste habe ich nie mit der Renaissance in Verbindung gebracht. Habe beides schon länger nicht mehr gespielt, aber würde ich in der Hinsicht recht unthematisch einordnen. Was man ja schon daran sieht, dass ich kein Thema erkannt habe. Aber mit Splendor habe ich eh so meine Probleme, das finde ich optisch überhaupt nicht ansprechend.
De Vulgari Eloquentia kenne ich leider auch nicht, aber ich habe mir gerade nochmal das Cover angeschaut, das sind schon irgendwie schön thematisch aus..Wäre es mal wert, bei der SO ausgeliehen zu werden..
Fürsten von Florenz kenne ich leider auch nicht.
Ich habe mal gerade noch nach Brettspielen, die mit Renaissance zu tun habe, gegoogelt, da gibt es ja doch noch einiges, was hier unerwähnt blieb.
Unter anderem ein Spiel, wo es darum geht, in eine adlige Familie einzuheiraten, und so das Ansehen zu erhöhen. Brides & Bribes hieß das.

Gefühlt zieht sich jedes einen Aspekt davon heraus und verarbeitet ihn, deckt aber nie die Epoche als Ganzes ab. Geht vielleicht aber auch nicht, ohne dass ein Spiel zu überladen wird? Wie ihr schon sagtet: die Renaissance lässt sich sicher gut einem Euro-Game überstülpen und verkauft sich anscheinend auch nicht schlecht. Wahrscheinlich das Pendant zu den mittelalterlichen Festungen, die es ja auch mehr als genug gibt.

Das Buch ist mir tatsächlich zu trocken und faktenüberladen, was die einzelnen Familienstammbäume angeht. Da wäre für mich weniger mehr gewesen. Und ich finde es schade, dass dem Buch das Schillernde fehlt. Wobei ich noch nicht mal den Schreibstil meine, aber inhaltlich . Gerade wenn man überlegt, dass Lorenzo seinen Beinamen aus Gründen, die auf die Künste und die Wissenschaften abzielen, erhalten hat. Das fehlt für mich und damit für mich auch ein wenig die persönliche Note, die mich Lorenzo vielleicht noch etwas näher gebracht hätte.